rcd4-PRA (Progressive Retinaatrophie / rcd4-Typ)
rcd4-PRA der Hunde ist eine erblich bedingte, spät im Leben manifestierende Erkrankung der Netzhaut des Auges (IRD, inherited retinal disease) und wurde erstmals 2013 in Gordon Settern und Irish Settern beschrieben. Verantwortlich ist eine Frameshift-Insertion im Gen C2orf71 (heute PCARE) welches auf Chromosom 17 liegt. Da nicht alle Fälle der spät einsetzenden PRAs damit erklärbar sind, werden weitere, bisher nicht lokalisierte Mutationen als alternative Auslöser vermutet. Nach Entdeckung der Mutation konnte diese auch in anderen Rassen nachgewiesen werden. Die weite Verbreitung legt nahe, dass die Mutation vor der Ausbildung der derzeit beschriebenen Rassen aufgetreten ist.
Symptome
Die rcd4-PRA gehört zu den spät einsetzenden PRA-Erkrankungen.
Erste Symptome zeigen sich typischerweise zwischen 5–12 Jahren, das Mittel liegt bei ~9–10 Jahre.
Zunächst entsteht eine Nachtblindheit durch Ausfall der Stäbchen-Sehzellen ('rods'); dann fallen fortschreitend auch die für das Tages- und Farbsehen erforderlichen Zapfen-Sehzellen ('cones') aus. Das Einsetzen variiert innerhalb/zwischen Rassen und führt zur vollständigen Erblindung.
Eine Nachtblindheit zeigt sich oft nur in einer fremden Umgebung. Die Hunde wirken bei wenig Licht ängstlich und sind zögerlich unbekannte, dunkle Räume zu betreten. In diesen stoßen sie an Gegenstände, die sie nicht erkennen können. In der gewohnten Umgebung kompensiert der Hund die fehlenden Augensinneseindrücke durch Geruch und Gehör, so dass die Nachtblindheit lange unerkannt bleiben kann.
Mit Fortschreiten der rcd4-PRA fällt zunehmend auch das Tagessehen aus. Hunde mit Tagblindheit sind dann generell zurückhaltend und ängstlich bei Verlassen der gewohnten Umgebung.
Die klinische Augenuntersuchung durch den Tierarzt schafft Klarheit über das Ausmaß der PRA. Der DNA-Test kann in der Differentialdiagnostik helfen zu beurteilen, ob die klinisch manifeste PRA durch die PCARE (c.3149_3150insC) Mutation hervorgerufen wird.
Entstehen der rcd4-PRA
Die Frameshift-Mutation führt zu einem verkürzten/fehlfunktionalen PCARE-Protein. PCARE steht für 'photoreceptor cilium actin regulator'. Das Protein wirkt in Photorezeptoren am Zilium/Outer-Segment-Ansatz als Regulator der F-Actin-Assemblierung und ist für die korrekte Ausbildung der Sehscheibe unersetzlich. Ein Funktionsverlust bewirkt eine gestörte Erneuerung der Außensegmente der Cilien, was in eine fortschreitende (progressive) Degeneration von Stäbchen und Zapfen (rod-cone degeneration) mündet.
Mutation und DNA-Test
Durch die Mutation wurde in der DNA des betroffenen Gens eine zusätzliche Guanidin-Base (G). Bei der Ablesung des Gens resultiert daraus ein versetzter Leserahmen (Frameshift) der mRNA (Position c.3149-3150insC). In der Folge kann bei der Synthese des Proteins nur ein fehlerhaftes PCARE-Protein gebildet werden. Fällt nur eines der beiden Gene aus (mischerbiges Vorkommen), reicht die verbleibende einzelne funktionelle Kopie aus, um ausreichend intaktes PCARE-Protein zu bilden und die rcd4-PRA-Symptomatik wird nicht eintreten.
Der DNA-Test erkennt zuverlässig, ob die Genvariante mit der c.3149-3150insC-Mutation im untersuchten Hund vorliegt.
Indikationen für den DNA-Test sind:
- Erkennen von gesunden, mischerbigen Anlageträgern für die Zuchtauswahl
- Differentialdiagnostik bei spät einsetzenden Formen der PRA
Betroffene Rassen
rcd4-PRA kommt vorwiegend bei Hunden der Rassen ‘Gordon Setter' und 'Irish Red Setter’ vor. Außerdem ist eine Relevanz beschrieben für: Australian Cattle Dog, Irish Red & White Setter, Polnischer Niederungshütehund (PON), Kleiner Münsterländer, Standard Pudel, Zwergpudel, Tibet-Terrier, Boykin Spaniel, Teckel, Franz. Bulldogge, Golden Retriever, Bolonka Zwetna, Japanese Spitz, Altdänischer Vorstehhund, Polnischer Tatra Schäferhund sowie Mischlingen mit Vertretern der genannten Rassen.
Laborbefunde und deren Aussagen
Erbgang: autosomal-rezessiv
→ Die Krankheit tritt nur auf, wenn beide Kopien des Gens von der Mutation betroffen sind (rcd4/rcd4). Hunde, die nur eine Kopie mit der auslösenden Mutation haben (N/rcd4) sind klinisch gesunde Trägertiere.
Genotypen und Befunde
N/N = reinerbig frei - gesund
Der untersuchte Hund weist in beiden Kopien des PCARE-Gens die c.3149_3150insC - Mutation nicht auf und wird die Erbkrankheit rcd4-PRA nicht entwickeln. In der Zucht kann der Hund mit beliebigen anderen Hunden (N/N oder N/rcd4) verpaart werden, ohne dass Nachkommen von rcd4-PRA betroffen sein würden. Bei einer Anpaarung mit einem Trägertier (N/rcd4) wären im Mittel 50 % der Nachkommen mischerbige Trägertiere, die jedoch alle aufgrund der rezessiven Vererbung gesund wären.
N/rcd4 = mischerbig für die Mutation/Träger - gesund
Der untersuchte Hund weist in einem der beiden PCARE-Gene die c.3149_3150insC - Mutation auf. Die andere Kopie ist hierfür normal. Der Hund selbst wird rcd4-PRA nicht entwickeln, würde die Variante jedoch mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % an seine Nachkommen weitergeben. Mischerbige rcd4-PRA-Träger dürfen nur mit Tieren angepaart werden, die reinerbig frei (N/N) von der Variante sind.
rcd4/rcd4= reinerbig für die Mutation - betroffen
Beide Kopien des PCARE-Gens weisen die c.3149_3150insC - Mutation auf. Betroffene Hunde zeigen mit zunehmendem Alter die mit rcd4-PRA einhergehende Symptomatik. Eine Therapie für diese Erbkrankheit ist derzeit nicht möglich.
Literatur
- Downs, L. M., et al. 2012: "Late-onset progressive retinal atrophy in the Gordon and Irish Setter breeds is associated with a frameshift mutation in C2orf71." Animal Genetics, vol. 44, no. 2, 2012, pp. 169–177. Wiley Online Library.
https://doi.org/10.1111/j.1365-2052.2012.02379.x
- Online Mendelian Inheritance in Animals: Retinal atrophy - Rod-cone dysplasia 4 in Canis lupus familiaris (dog) - OMIA - Online Mendelian Inheritance in Animals ): OMIA