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Merle beim Hund (M - Lokus)

1. Zusammenfassung

Bei der Merle Färbung zeigt der Hund eine Musterung aus dunkleren und helleren Partien, die zufällig scheint. Die Augen können heller oder blau gefärbt sein. Merle beruht auf einer SINE-Insertion im PMEL-Gen, in der Buchstabennommenklatur der Fellfarben entspricht ‚Merle‘ dem M-Lokus.
Der Erbgang ist für das M-Allel ist autosomal-dominant mit unvollständiger Penetranz; liegt es reinerbig vor (M|M) können mitunter schwere gesundheitliche Probleme wie Taubheit und/oder Blindheit auftreten. Mögliche weitere Organprobleme werden immer wieder diskutiert. 
Die Merle verursachende SINE-Mutation beruht auf einem hochvariablen DNA-Abschnitt [poly(T)-Repeat. Die Länge des poly(T)-Repeats kann sich bei jeder Zellteilung verändern. Das Resultat sind SINE-Mosaike in allen Geweben und den Keimzellen. Diese Mosaike bewirken sowohl die individuellen, nicht vorhersehbaren Marmorierungen, als auch das Auftreten von Merle-Nachkommen aus Elterntieren mit kryptischen SINE-Größen. 

Die korrekte genotypische Testung und Zuchtplanung ist entscheidend, um die Entstehung von „double Merle“-Tieren und damit verbundenen Gesundheitsproblemen zu vermeiden. 
 

2. Besonderheiten des Erbgangs

Bereits mit Identifiktion der ursächlichen Mutation wurde offensichtlich, dass das Auftreten einer Merle-Färbung nicht immer den Regeln folgt, die für typisch autosomal-dominante Erbanlagen gelten:
•    Tiere mit zwei Kopien des Wildtyp-PMEL-Gens (m/m) zeigen keinen Phänotyp Merle. 
•    Tiere mit einer oder zwei Kopien des Gens (M/m, M/M) zeigen den Phänotyp Merle. 
•    Homozygote Tiere (M/M) können schwerwiegende gesundheitliche Probleme haben.

Die Besonderheiten wurden nachvollziehbar, als entdeckt wurde, dass die SINE-Mutationen in der Länge variabel sind:
- Verkürzte Formen würden keine Merle-Fellzeichnung auslösen (kryptisches Merle)
- bei stark expandiertem SINE wäre die Weißfärbung besonders intensiv (Harlekin-Merle).

Der Mechanismus, der über Expansionen und Kondensationen zu den SINE-Längenvarianten führt, lieferte so auch die Erklärung warum Elterntiere ohne Merle-Zeichnung, Nachkommen mit Merle hervorbringen konnten

Die am weitesten ausdifferenzierte Allel-Nomenklatur stammt von Langewin et al. (2018) und sieht 7 verschiedene Längenklassen vor: m (Wildtyp,frei), Mc, Mc+, Ma, Ma+, M und Mh

Ungeklärt ist derzeit, ob Anpaarungen, wie in Wikipedia (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Merle-Faktor) vorgestellt, tatsächlich ohne Risiko für die Nachkommen sind. 
Die derzeitigen Veröffentlichungen dazu führen zu verschiedenen Interpretationen.

3. Molekulare Mechanismen

Das Transmembranprotein PMEL17, wird in den Melanozyten gebildet und ist für die Ausbildung der fibrillären Matrix in frühen Melanosomen (Typ I – II) verantwortlich. Diese Matrix dient der Ablagerung und Polymerisation von Eumelanin.
Die Aktivität von PMEL ist gesichert für alle pigmentbildenden Zellen der Haut, Haarfollikel, Iris, Retina und im Innenohr. Die oft schwerwiegenden Defekte bei bestimmten double-Merle Tieren deutet darauf hin, dass PMEL17 auch in anderen Zelltypen für deren korrekte Funktion erforderlich ist. 

3.1 Mutation: SINE-Insertion

Die Merle-Mutation beruht auf der Integration eines canine-spezifischen Short Interspersed Nuclear Element (SINE-Cf) in umgekehrter Orientierung an der Grenze zwischen Intron 10 und Exon 11 des PMEL-Gens. 
Dieses Insert enthält: 
- einen 15 bp-Target-Site-Repeat
- die Kopf- und Körper-Sequenz des SINE
- eine poly(T)-Sequenz (komplementär zur transkribierten poly(A)-Schwanzregion
- sowie eine kryptische Splice-Akzeptor-Sequenz (cSAS).

3.2 Längenabhängige Exonierung

Die Länge des poly(T)-Schwanzes wirkt wie ein Schalter für die Wahl der ‚Splice‘-Stelle:

  • kurze Poly(T)-Schwänze → normales Splicing an der ursprünglichen Akzeptorstelle (oSAS, original splicing acceptor site) → korrektes PMEL-Protein.
  • lange Poly(T)-Schwänze (> 55bp)  → Verdrängung des branch-point-Abstands → Verwendung der cSAS → „Exonisierung“ des SINE-Fragments → abnormes PMEL-Protein mit 52 zusätzlichen Aminosäuren.

Das resultierende Protein bildet keine stabile fibrilläre Matrix, was zu gestörter Eumelanin-Ablagerung und zur charakteristischen Aufhellung des Fells führt.

3.3 Entstehung der Längenvarianten – Mosaikbildung 

Replikations-Slippage: die poly(A/T)-Sequenz macht diesen Abschnitt extrem anfällig für Fehler bei der Zellteilung durch eine versetzte Verdopplung (replication slippage) während der DNA-Replikation. was in den neu gebildeten Zellen zu nicht berechenbaren Verlängerungen oder Verkürzungen des SINE führt.

Somatische Mosaike: Verlängerung oder Verkürzung kann in einzelnen Melanozyten während der Embryonalentwicklung und bei allen Zellteilungen während der Wachstumsphase auftreten; die daraus entstehenden Zellklone erzeugen je nach SINE-Ausstattung, die unveränderte Grundfarbe oder unterschiedliche Stufen der Aufhellung, die sich als marmorierte Fellzeichnung präsentieren.

Keimzellen-Mosaike: Tritt dieselbe Instabilität während der Eizellen und Spermienbildung auf, haben die einzelnen Keimzellen jeweils eine individuelle SINE-Größe. Je nachdem welche Keimzelle bei der Befruchtung zum Zug kommt, können veränderte SINE-Längen an Nachkommen weitergegeben werden. Dadurch entstehen gelegentlich Merle-Welpen aus Eltern, die selbst phänotypisch nicht-Merle sind.

4. DNA-Test und Befundung der Allele

Durch Fragmentlängenanalyse können die beiden PMEL-Gene auf Vorkommen und Ausdehnung des SINE untersucht werden.
Bei der Bewertung der Befunde ist zu beachten, dass die erhobene Ausstattung nur die Zusammensetzung des Untersuchungsmaterial wiedergibt. Die beschriebenen Mosaike zeigen sich in den Befunden regelmäßig, indem mehr als 2 M-Allele unterschiedlicher Größe gefunden werden.

4.1 Längenvarianten und Gruppierung

Durch die Untersuchung von Tieren mit unterschiedlichem Ausmaß an Merle, konnten die in den verschiedenen Hunderassen gefundenen Längenvarianten erhoben werden. Hierbei hat sich gezeigt, dass der beobachtete Fell-Phänotyp weitgehend mit bestimmten Längen korreliert, aber auch Fälle auftreten, bei denen der SINE-Längenbefund aus dem Untersuchungsmaterial nicht mit den Fell-Phänotypen zusammenpasst. Dies bestätigt die Unberechenbarkeit der Merle-verursachenden Mutation infolge des ‚replication slippage‘ und die daraus resultierenden Zellmosaike. 

4.2. Einteilung der Varianten

Klassifikation beruht auf dem Längenbereich des poly(T)-repeats (≈ 25–105 bp)
poly(T)Befund nach L*. BasisbefundAktivitätFell-Phänotyp
0m mkeinevolle Pigmentierung
26-56  bpmc = kryptisch SINE (mc)keinekeine sichtbare Aufhellung
57-72 bpmc+ = kryptisch + SINE (mc)keinekeine sichtbare Aufhellung
73-80 bpma = atypisch SINE (mcgelegentlichkeine sichtbare Aufhellung
81-90 bpma+ = atypisch + SINE (M)geringschwach marmoriert
91- 95 bpM = Standard, Klassik SINE (M)ca 50%typisches Merle
96-106 bpMh = Harlekin SINE (M)fast 100%stark aufgehellt bis weiß

L* = Langevin et al. (2018)

Die absolute Fragmentlängenbestimmung liefert eine exakte Bestimmung der SINE-Größen. Unklar ist, ob Anpaarungen, wie in Wikipedia (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Merle-Faktor) vorgestellt, tatsächlich ohne Risiko für die Nachkommen sind.

Die derzeitigen Veröffentlichungen führen zu verschiedenen Interpretationen:

Langevin et al. (2018) beschreiben die kurzen Formen (Mc, Mc+, Ma) als funktionell inaktiv und gesundheitsneutral. Demnach gelten Träger solcher „unwirksamen“ SINE als zuchtbiologisch unbedenklich und dürfen mit echten Merle-Tieren verpaart werden.

Varga et al. (2020) widersprechen einer generellen Unbedenklichkeit: Sie weisen auf Expansionen und Kontraktionen des SINE in allen Geweben hin. Das bedeutet, dass die SINE-Länge in Leukozyten (Untersuchungsmaterial Blut) nicht notwendigerweise der in Haut, Auge oder Keimzellen entspricht. Somit kann auch ein scheinbar „kryptisches“ Tier, Merle-aktive Zelllinien tragen und über „Expressions-Double-Merle“ Defekte aufweisen.

Brancalion et al. (2021) unterstützen die Sicht von Varga et al., (2020): Hier ist das Merle-System Teil der Gruppe pigmentassoziierter Gene mit potenziellen gesundheitlichen Risiken. PMEL-Varianten gelten  neben MITF, KIT und PSMB7 als Ursachen für Augen- und Hördefekte.
Betont wird die Notwendigkeit tierärztlicher Zuchtkontrollen und genetischer Testprogramme zur Vermeidung von doppel-Merle-Nachkommen.

5. Sicheres Vermeiden von SINE/SINE Nachkommen

Zur Vorbeugung werden die phänotypisch Merle-freien Paarungskandidaten darauf getestet, ob in diesen ein nicht-wirksames (kryptisches) SINE beliebiger Größe vorliegt. 

Erlaubt sind dann nur Paarungen, bei denen eines der Elterntiere den Genotyp-Befund m | m (Merle-frei) aufweist. 

Hintergrund dieser Regelung ist die Beobachtung, dass Hunde, die selbst keine Merle-Fellzeichnung und in der Blutuntersuchung ein verkürztes SINE zeigen, in den Keimzellen durchaus solche mit aktiven SINE-Größen aufweisen können (Vargas)

Bei der Testung zu diesem Zuchtregime genügen 3 Allelebefunde:

    m = kein SINE
    mc = kryptisches Merle - SINE
    M = Merle

Hunde mit manifester Merle-Fellzeichnung benötigen keinen Merle-Test, denn es ist offensichtlich, dass diese ein wirksames SINE-Element aufweisen.

6. Wie entstehen die Phänotypen

Bei gegebener Exonierung (aktives SINE) ist das gebildete PMEL-Protein defekt. Liegt Mischerbigkeit ( m | M) vor, kann die intakte Genkopie nicht ausreichend funktionelles PMEL-Protein bereitstellen, so dass in den betroffenen Zellen die auf Eumelanin beruhende Fellfarbe (schwarz oder braun) nicht korrekt ausgeprägt wird. Für die Einzelzelle ist die Wirkung vollkommen dominant. Durch die Mosaike ist das Gesamterscheinungsbild jedoch gemischt, daher die unvollständige Penetranz. 

In Hunden, die aufgrund des Elternteils mit dem Genotyp (m | m) in jeder Zelle eine Kopie ohne SINE haben, hängt die Merle-Fellzeichnung von den Längenvarianten ab, die sich während der Embryonal-Entwicklung und durch die Zellteilungen beim Größenwachstum durch replication-slippage herausbilden. 
Nicht selten zeigen Tiere mit einem Blutbefund m | M (classic Merle) ein Ausmaß an Weißfärbung, das als typisches ‚Harlekin’ -Merle gilt. Aber auch das Gegenteil wird beobachtet: Trotz Blutbefund, der auf ein klassisches Merle hindeutet, weisen die Hunde keine oder nur geringgradiges Merle auf.
 

Fazit

Während Langevin eine praktisch-zuchtfreundliche Einteilung nach Phänotyp und Länge vornimmt, unterstreichen Varga und Brancalion die bedeutende Rolle der Gewebemosaike und empfehlen, kryptische Merle nicht pauschal als sicher einzustufen.

Die korrekte DNA-basierte Anlagenbewertung und Zuchtplanung ist entscheidend, um das Risiko für die Geburt von Tieren mit gesundheitlichen Problemen zu verringern und mögliches Leiden zu vermeiden. Die Verfügbarkeit der Untersuchung erlaubt es Züchtern und Zuchtorganisationen die betreffenden Zuchttiere zu testen und anschließend die Ergebnisse im Hinblick auf Anpaarungen verantwortungsvoll zu nutzen.
 

Literatur

  1. L.A. Clark, J.M. Wahl, C.A. Rees, & K.E. Murphy, Retrotransposon insertion in SILV is responsible for merle patterning of the domestic dog, Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 103 (5) 1376-1381, https://doi.org/10.1073/pnas.0506940103 (2006).
  2. Murphy, S.C., Evans, J.M., Tsai, K.L., Clark, L.A.: PMEL: correlating genotype with phenotype. Mob DNA 9:26, 2018. Pubmed reference: 30123327. DOI: 10.1186/s13100-018-0131-6.
  3. Langevin M, Synkova H, Jancuskova T, Pekova S (2018) Merle phenotypes in dogs – SILV SINE insertions from Mc to Mh. PLoS ONE 13(9): e0198536. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0198536
  4. Varga, L., Lénárt, X., Zenke, P., Orbán, L., Hudák, P., Ninausz, N., Pelles, Z., Szőke, A.: Being Merle: The Molecular Genetic Background of the Canine Merle Mutation. Genes (Basel) 11:, 2020. Pubmed reference: 32560567. DOI: 10.3390/genes11060660.
  5. Brancalion, L., Haase, B. and Wade, C.M. (2022), Canine coat pigmentation genetics: a review. Anim Genet, 53: 3-34. https://doi.org/10.1111/age.13154

Weitere Informationen sind auf der Webseite: Online Mendelian Inheritance in Animals verfügbar.

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